Rückwärtslauf als Grundlegende Bewegungsform in vielen Sportarten
Ohne Frage ist das Vorwärtslaufen bzw. die Bewegung nach Vorn die häufigste und vermutlich auch sinnvollste Art der Fortbewegung in den meisten Sportarten. Im Vergleich zum normalen Gehen zeichnet sich Laufen dadurch aus, dass es während der Vorwärtsbewegung Phasen gibt, in denen ein Bein den Körper durch Boden-Fuß-Kontakt stützt und Phasen, in denen beide Füße in der Luft sind (Cappellini et al., 2006).
Die Fähigkeit schnell zu Laufen (bzw. zu Sprinten) wird in den meisten Sportarten als Vorteil oder Leistungsindikator angesehen und ist deshalb vergleichsweise gut erforscht (z. B. Reilly et al., 2000).
Das Thema Rückwärtslaufen mag vielen von euch vielleicht erst seltsam erscheinen, aber bei genauerer Betrachtung wird klar: die meisten Sportarten erfordern eine gewisse Fähigkeit rückwärts zu laufen. Vor allem bei agilen Sportarten wie Fußball oder Rugby kommt es häufig zu Phasen des Rückwärtslaufens – mindestens für eine kurze Zeit. Der grundlegende Unterschied ist die Perspektive des Läufers.
Dadurch muss sich der Athlet mehr auf seine sensorischen Fähigkeiten verlassen. Weitere Unterschiede: im Vergleich zum Vorwärtslaufen belastet das Rückwärtslaufen beispielsweise das Kniegelenk weniger (Roos et al., 2012), kann Verletzungsraten reduzieren und die Leistung verbessern (Uthoff et al., 2018).
Vergleich Vorwärtslaufen vs. Rückwärtslaufen
Uthoff et al. (2018) untersuchten in einem Review mit über 110 Forschungsartikeln, welche Vor- und Nachteile das Rückwärtslaufen gegenüber dem Vorwärtslaufen hat und welche physiologischen Unterschiede bestehen. Die Ergebnisse sehen wie folgt aus:
- Rückwärtslaufen verbraucht mehr Energie – im aeroben und anaeroben Trainingsbereich.
- Die Laufgeschwindigkeit beim Rückwärtslaufen beträgt etwa 70% der Geschwindigkeit beim Vorwärtslaufen.
- Die Belastung des Kniegelenks beim Rückwärtslaufen ist geringer als beim Vorwärtslaufen.
- Quadrizeps, Beinbeuger, Wadenmuskulator und der vordere Schienbeinmuskel werden beim Rückwärtslaufen mehr aktiviert.
- Die Hauptbelastung des Fußes beim Rückwärtslaufen liegt im Bereich des Ballens (statt auf der Hacke, wie beim Vorwärtslaufen).
- Die Kraftentwicklung ist beim Rückwärtslaufen höher.
Obwohl die Laufgeschwindigkeit (als Leistungsindikator) anatomisch durch die Muskel- und Skelettfunktion begrenzt wird, weisen die Ergebnisse auf viele klinische Vorteile und potenzielle Leistungssteigerungen durch Rückwärtslaufen hin.
Vor allem die Implementierung von Rückwärtsläufen in die Aufwärmphasen von Sportlern reduzierte das Verletzungsrisiko und verbesserte die Leistung.
Außerdem deuten die Ergebnisse darauf hin, dass das Rückwärtslaufen die kardiovaskulären und neurophysiologischen Funktionen verbessert und dadurch die sportliche Leistung gesteigert werden kann.
Leider gibt es in der Literatur derzeit keine Studien, die möglicherweise langfristige Auswirkungen des Rückwärtslaufens untersuchen. Darüber hinaus wurden nur wenige Studien an trainierten Athleten oder Kindern durchgeführt und der Forschungsbedarf in diesen Bereichen ist entsprechend hoch (Uthoff et al., 2018).
Rückwärtslaufen für dein Training
Die wiederholte Belastung von Muskeln und Skelett kann über einen längeren Zeitraum zu Überlastungsverletzungen führen. Uthoff et al. (2018) kamen zu dem Schluss, dass Rückwärtslaufen eine gute Methode sein kann, die Trainingsvariabilität zu erhöhen und das Verletzungsrisiko zu reduzieren. Darüber hinaus verbessert Rückwärtslaufen die isometrische und konzentrische Beinstärke, welche vor allem während Beschleunigungs- und Startphasen enorm wichtig ist. Dementsprechend könnte Rückwärtslaufen für das Training solcher Phasen Vorteile bringen und beispielsweise für Sprinter eine sinnvolle Ergänzung sein (Uthoff et al., 2018).
Durch den geringeren Bewegungsumfang beim Rückwärtslaufen wird die Schrittfrequenz erhöht und der Fuß schneller bzw. häufiger in eine neue Position gebracht. Die höhere Schrittfrequenz kann dabei helfen, die neuro-physiologischen Funktionen zu verbessern und dadurch indirekt die Leistung beim Vorwärtslaufen zu steigern.
Meiner Meinung nach sind die Ergebnisse von Uthoff et al. (2018) ein wichtiger Schritt zu einem optimalen Training für Athleten, die ihren Lebensunterhalt damit bestreiten müssen. Auf den Freizeitsportler und Hobbyläufer haben die Erkenntnisse wohl eher weniger Einfluss. Trotzdem zeigen die Ergebnisse, dass der Einbau von Rückwärtsläufen in die Aufwärmphasen eine wirklich sinnvolle Ergänzung sein kann – auch um Verletzungen vorzubeugen.
Wie handhabst du es mit den Rückwärtsläufen? Hast du es schon mal versucht oder hast diese sogar gezielt in dein Training eingebaut? Lass es mich doch gern in den Kommentaren wissen 🙂
Literatur
Cappellini, G., Ivanenko, Y.P., Poppele, R.E., Lacquaniti, F. (2006) Motor patterns in human walking and running. J. Neurophysiol. 95, 3426–3437.
Reilly, T., Williams, A.M., Nevill, A., Franks, A. A. (2000) Multidisciplinary approach to talent identification in soccer. J. Sports Sci. 18, 695–702.
Roos, P.E., Barton, N., van Deursen, R.W.M. (2012) Patellofemoral joint compression forces in backward and forward running. J. Biomech. 45, 1656–1660.
Uthoff, A., Oliver, J., Cronin, J., Harrison, C., Winwood, P. (2018) A New Direction to Athletic Performance: Understanding the Acute and Longitudinal Responses to Backward Running. Sports Med. 48(5), 1083-1096. doi: 10.1007/s40279-018-0877-5.